War das wirklich Missbrauch?

Man hört immer wider davon. In einem katholischen Internat sollen über Jahre hinweg Jungen und Mädchen missbraucht worden sein. Zeugen, die mittlerweile in den Sechzigern sind, berichten von regelmäßigen Schlägen und demütigungen, die sie als Teenies aus der Hand rabiater Erzieher erfahren haben. Eine Frau bricht in Tränen aus und erzählt von ihrem Leben im Waisenhaus, das seinerzeit von Nonnen geleitet wurde, für die die Erziehung eines Mädchens vor allem darin bestand, ihm Demut und Gehorsam beizubringen. Und die nicht zögerten, den Geboten Gottes mit dem Stock in der Hand Geltung zu verschaffen.

Wer das Wort „Missbrauch“ hört, denkt zunächst an sexuelle Übergriffe und ist schockiert, dass das im Namen der Kirche gang und gäbe gewesen sein soll. Doch wer genauer hinhört, der merkt schnell, dass es sich bei diesem Missbrauch vor allem um das handelt, was man in den 40er und 50er-Jahren in breiten Bevölkerungsschichten als völlig normale Erziehungsmaßnahmen ansah. Man darf nicht vergessen, dass in Deutschland die körperliche Züchtigung vor allem an Grundschulen noch bis in die 70er Jahre gang und gäbe war. Auch die Übertragung des Züchtigungsrechts an Dritte war bis etwa 1970 sozial akzeptiert und durchaus nicht unüblich. So mancher Nachhilfelehrer führte damals den ausdrücklichen Wunsch der Eltern aus, wenn er den Lederriemen anwandte, um schlechte schulische Leistungen zu bestrafen. Bis in die 60er Jahre hinein war es vor allem in handwerklichen Berufen auch jedem Meister gestattet, einen Lehrling zu ohrfeigen. Speziell in der Textilindustrie war es auch nicht unüblich, dass die vornehmlich weiblichen Lehrlinge über den Tisch gelegt wurden und den Lederriemen zu spüren bekamen. Ohne Fleiß kein Preis und wer nicht hören will, muss fühlen.

Ich selbst kann mich noch an den katholischen Kinderhort in einer schwäbischen Kleinstadt erinnern, in dem Schwester Walburga für ihr strenges Regiment bekannt war. Nach dem Mittagessen war Schlafenszeit und wenn sie einen Jungen erwischte, der sein Mundwerk nicht zügeln konnte, holte sie ihr gefürchtetes Rohrstöckchen und zog ihm den Hosenboden stramm, bevor es ein halbes Dutzend Hiebe setzte. Die Mädchen waren noch schlimmer dran. Damals trugen Mädchen noch ausnahmslos niedliche Kleidchen. Und die wurden zur Bestrafung nicht nur hochgeschlagen. Schwester Walburga zog dem armen Ding auch noch das Höschen stramm, bis es fast in der Pospale verschwand, bevor sie mit dem Stöckchen ausholte. Mir ist nicht bekannt, dass sich irgendwann einmal eine Mutter oder ein Vater darüber aufgeregt hat.

Irgendwie erscheint es mir daher nicht ganz fair, wie heute die Diskussion geführt wird. Es ist sogar ziemlich scheinheilig, wenn man heute über eine religiöse Institution herzieht, in deren Heimen nichts anderes geschah als in nahezu jeder Familie auch. „Mein Vater ist streng,“ kann ich mich an die Aussage einer meiner Mittschülerinnen in der vierten Klasse erinnern. Jeder wusst damals, was damit gemeint war. Hatte sie eine schlechte Note bekommen, liefen ihr sofort die Tränen übers Gesicht. Sie wusste eben genau, was ihr blühte, wenn sie damit zu Hause ankam. Mein bester Freund wurde dann von seinem Vater mit einem Stück Gartenschlauch grün und blau geschlagen.

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